sam WIEN: Die Zustände in den Flüchtlingslagern Kara Tepe auf Lesbos oder Vathy auf Samos sind katastrophal. Es fehlt an fließendem Wasser, Strom, warmem Essen. Bei Regen sind Teile der Lager regelmäßig überschwemmt, ein wirksamer Schutz gegen Kälte und Wind ist nicht gewährleistet. Wie sind die Lebensbedingungen jetzt im Winter?
Christoph Pinter: Insgesamt müssen noch immer über 17.000 Menschen (Anm. Stand Mitte Februar) auf den Inseln unter sehr harschen Bedingungen ausharren, ein Drittel davon sind Kinder. Es ist oft kalt und feucht, die Menschen leben in notdürftig isolierten Zelten ohne eigene Sanitäranlagen, Heizgeräte sind aufgrund des schwachen Stromnetzes nur teilweise möglich. UNHCR und viele NGOs tun ihr Bestes, um die Menschen zu versorgen. Aber Menschen in Zelten unterzubringen, das darf doch in Europa nicht zum Standard werden!
samWIEN: Viele Menschen, darunter auch Babys, Kleinkinder und alte Menschen, leben bereits seit vielen Monaten unter erbärmlichen, menschenunwürdigen Umständen in diesen und anderen Flüchtlingscamps an den EU-Außengrenzen. Welche Maßnahmen müssten in der Flüchtlingspolitik gesetzt werden, um tatsächlich Verbesserungen zu bewirken?
Christoph Pinter: Das Zauberwort lautet wohl „europäische Solidarität“. Für die akut betroffenen Geflüchteten und Asylsuchenden braucht es schnell Transfers von den Inseln auf das Festland, Relocation in andere europäische Länder und adäquate Versorgung vor Ort. Längerfristig gedacht würden mehr legale Wege nach Europa, Stichwort Familienzusammenführung, Resettlement – also Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen aus einem Erstzufluchtsland – StudentInnen - oder Arbeitsvisa etc. das Leid an den Außengrenzen verringern.
samWIEN: Die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und EU-Recht verpflichten die einzelnen Staaten dazu, Menschen ihr Recht auf ein Asylverfahren zu garantieren. In vielen Fällen werden die Rechte von Flüchtlingen in der EU und an deren Außengrenzen jedoch missachtet. Immer mehr Flüchtlinge berichten von illegalen Pushbacks – also dem Zurückdrängen von Flüchtlingen an Europas Land- und Seegrenzen. Vorwürfe von Pushbacks bestehen auch gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Wie kann hier Klarheit geschaffen und für Abhilfe gesorgt werden?
Christoph Pinter: Pushbacks sind immer illegal und ein schwerer Verstoß gegen das Flüchtlingsrecht. UNHCR setzt sich für eine unabhängige Überwachung ein, um den Zugang zu Asyl zu gewährleisten und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Ein unabhängiges Monitoring wird auch im EU-Paket vorgeschlagen und wir fordern die EU-Staaten auf, dies zu unterstützen. Bei der Achtung von Menschenleben und Flüchtlingsrechten gibt es keine Wahl, sondern seit der Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention vor 70 Jahren eine rechtliche und moralische Verpflichtung.