Eigentlich hatte Anna* ihr Leben voll im Griff. Sie mochte ihren Job im Einzelhandel, hatte eine kleine gemütliche Wohnung und einen engen Freundeskreis, in dem viel gelacht wurde. Doch dann lernte die 39-Jährige einen Mann kennen, verliebte sich und zog bald zu ihm. Zu Beginn war die Beziehung sehr harmonisch und so merkte sie nicht, dass er sie nach und nach von ihrem Freundeskreis abschirmte. Bald wollte er ihr Leben bestimmen, war eifersüchtig und drohte ihr. Und dann wurde er gewalttätig. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und kam zum ersten Mal zu uns ins Chancenhaus.
Bis Anna dann aber tatsächlich bereit war, die Gewaltübergriffe ihres Partners der Polizei zu melden, vergingen viele Wochen. Viele Wochen, in denen sie immer wieder zu ihrem Ex-Partner zurückkehrte. Immer in der Hoffnung, dass er sich doch noch ändern würde. Aber die Drohungen und die Gewalt hörten nicht auf.
Bei uns hat sie jedes Mal Zuflucht gefunden, wenn sie diese gebraucht hat. Doch erst nach vielen Gesprächen und mit unserer Unterstützung wagte sie dann den wichtigen Schritt zur Polizei. Gegen ihren Ex-Freund wurde eine einstweilige Verfügung ausgesprochen. Er darf nun nicht mehr in ihre Nähe. Und erst dadurch konnte Anna endlich zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen.
Seit Kurzem ist auch ein Traum für sie in Erfüllung gegangen. Anna hat nämlich eine kleine Gemeindewohnung bekommen. Die Adresse ist geheim und sie fühlt sich dort sicher. Vor einigen Wochen war sie im Chancenhaus zu Besuch. Sie hat wieder gestrahlt, sich für die Unterstützung bedankt und erzählt, dass es ihr viel besser geht.
Schicksale wie dieses haben fast alle Frauen bei uns im Chancenhaus. Abhängigkeiten von Partnern, die gewalttätig sind und keine Menschen in ihrem Umfeld, die sie auffangen. Oft kommen sie vielleicht mal kurz bei Bekannten unter. Manche finden kurz Zuflucht bei Bekannten, doch viele schämen sich auch zu sehr, um Freunde, um Hilfe zu bitten. Um nicht auf der Straße zu landen, ertragen sie die Gewalt weiter und bleiben. Diese Frauen sind nicht sichtbar. Nicht sichtbar im öffentlichen Raum, in der öffentlichen Wahrnehmung. Nicht sichtbar in jeglichen Statistiken. Aber sie sind da. Und sie brauchen unsere Hilfe. Mehr denn je.
*Name geändert