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Wenn der Einsatz (zu) nahe geht

Wie ein bewährtes Peer-System Samariterbund-Sanitäter:innen nach belastenden Situationen unterstützt

Der Rettungsdienst bringt immer wieder Situationen mit sich, die emotional nachwirken: schwere Unfälle, dramatische Reanimationen, verzweifelte Eltern nach dem plötzlichen Tod eines Kindes. Um das Erlebte besser verarbeiten zu können, bietet der Samariterbund seit über zwei Jahrzehnten eine besondere Form der Unterstützung: das Peer-System.

Seinen Ursprung nahm es im Winter 1999 nach einer Gasexplosion im niederösterreichischen Wilhelmsburg. Am Abend des 2. Dezember erschütterte eine gewaltige Detonation den Ort im Bezirk St. Pölten. Ein dreistöckiges Wohnhaus stürzte vollständig ein, zurück blieb ein meterhoher Schutthaufen. Auch Samariter:innen waren damals im Einsatz – und schnell war klar: Wer solche Bilder erlebt, braucht mehr als eine kleine Verschnaufpause. Aus dieser Erfahrung entstand die Idee, Kolleginnen und Kollegen gezielt für die psychische Nachbetreuung auszubilden.

Hilfe auf Augenhöhe

Peers – das sind Sanitäter:innen, die zusätzlich eine spezielle Ausbildung durchlaufen haben, um andere nach belastenden Einsätzen zu begleiten. Sie kennen den Rettungsalltag aus eigener Erfahrung und begegnen den Betroffenen nicht von außen, sondern als Teil der Gemeinschaft. Gerade diese Nähe schafft Vertrauen und gegenseitiges Verständnis.

Nach einer intensiven Aufbauphase in den 2000er-Jahren ging die Ausbildung neuer Peers eine Zeitlang zurück. Doch 2021, mitten in der Pandemie, wurde das System neu strukturiert und organisatorisch gestärkt. Seither finden wieder regelmäßige Ausbildungen statt. Derzeit sind rund 65 Peers im gesamten Bundesgebiet aktiv. Alle ehrenamtlich.

Da sein, wenn’s darauf ankommt

„Wir sind da, wenn es schwierig wird – auch mitten in der Nacht“, sagt Julia Gabriel, die das Peer-System österreichweit fachlich leitet. Sie ist Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision und seit über zehn Jahren selbst Rettungssanitäterin. „Unsere Kolleginnen und Kollegen können sich jederzeit an uns wenden – kostenlos, anonym und ohne Zwang.“

Wie ein Peer-Gespräch konkret abläuft, ist sehr unterschiedlich. Manche nehmen das Hilfsangebot sofort an und haben kein Problem damit, in der Dienststelle mit einem Peer zu sprechen. Andere melden sich Tage später – lieber privat, außerhalb des Dienstes, bei einem Kaffee oder auch mal in einem Fast-Food-Lokal. „Unser Gegenüber muss sich wohl fühlen. Wir richten uns ganz nach dem Bedarf der Person“, so Gabriel.

Was belastet?

Nicht immer sind es spektakuläre Einsätze, die psychisch nachwirken. Klar, schwere Unfälle oder die erste Reanimation können Auslöser sein. Aber auch scheinbar alltägliche Erlebnisse sind manchmal emotional fordernd – etwa, wenn man regelmäßig eine Person betreut, die stark an eigene verstorbene Angehörige erinnert.

Häufig taucht in den Gesprächen auch die Frage auf: „Habe ich alles richtig gemacht?“ Das ist ein Ausdruck von Unsicherheit, der viele nach belastenden Einsätzen beschäftigt. „Diese fachliche Beurteilung ist bei den Expertinnen und Experten von unseren Ausbildungszentren aber besser aufgehoben“, betont Gabriel. „Wir Peers begeben uns nicht auf Fehlersuche. Unsere Aufgabe ist es, beim Umgang mit dem Erlebten zu unterstützen und dabei zu helfen, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen.“

Peers ersetzen dabei aber keine vollwertige Therapie – das sollen sie auch nicht. Wenn deutlich wird, dass jemand weitergehende Hilfe braucht, erfolgt die Weitervermittlung an Arbeitspsychologinnen bzw. Arbeitspsychologen oder Psychotherapeut:innen. Wichtig ist vor allem eines: Niemand bleibt allein mit dem, was ihn oder sie beschäftigt.

Gekommen, um zu bleiben

Julia Gabriel freut sich jedenfalls darüber, wie etabliert das Peer-System beim Samariterbund mittlerweile ist. „Es ist ein fester Bestandteil unseres Arbeitsalltags geworden. Viele wissen: Wenn etwas belastet, gibt es jemanden, der zuhört – vertraulich und auf Augenhöhe. Und das ist einfach extrem viel wert.“ 

Fragen zum Peer-System oder Interesse an einer Ausbildung?
Wenden Sie sich bitte an:
Julia Gabriel, MSc.
[email protected]